Wenn nicht jetzt, wann dann? - Mit "Marilyn" auf der Ostsee.
Ein Reisebericht, nicht nur vom Segeln ...

Ostsee statt großer Geburtstagsparty, diese Idee kam spontan auf, als ich mir erste Gedanken über die anstehende Feier machte. Auf was wartete ich denn eigentlich noch, ich wurde ja schon wieder ein Jahr älter.
Die Idee setzte sich schnell in meinem Kopf fest und ein Reiseziel musste ich mir nicht aussuchen. Ich wollte wieder in die Lübecker Bucht, ein ideales Segelrevier und buchte in Niendorf bei der Familie, bei der ich schon viele Urlaube verbracht habe und die sich noch an meine Conger erinnern können, ein kleines Appartement und leistete die Anzahlung.
Jetzt gab es kein zurück mehr, ich holte das Boot aus dem Wasser, dann bekam der Trailer neue Radlager, neuen TÜV und war startklar.
Am Abend des 13.07.2013 war es endlich soweit und gegen 22.30 Uhr ging es los. Die LKW waren wohl von der Straße und ich hoffte auf eine störungsfreie Fahrt. Das wurde es auch, nichts ging kaputt, mit der Kondition hatte ich während der Fahrt kein Problem und gegen 09.00 Uhr am Sonntagmorgen stand ich vor der Everswerft in Niendorf. Die haben einen 20 to–Säulenschwenker an ihrer Kaimauer stehen und den Weg ins Wasser findet man hier nur an seinem Haken.
Große Freude kam aber nicht auf, denn ein schwerer Schlagbaum und dicke Poller versperrten die Einfahrt und jetzt stand ich da, der Trailer ragte noch in voller Länge in die Straße und blockierte den Verkehr der Brötchen-Einkäufer, denen erstmal der Weg zum Frühstück versperrt war. Eigentlich wollte ich den Trailer auf dem großen Gelände abstellen, mich mit meinen Gastgebern über das Wiedersehen freuen und am Montag, frisch und ausgeschlafen, den Kranfahrer suchen, um "Marilyn" ihrem Element zu übergeben.
Es war ziemlich blauäugig von mir, mich nur um den Wasserliegeplatz im Hafen des SVNO zu kümmern und anzunehmen, alles andere regele ich vor Ort. Die Zeiten haben sich aber geändert, der Tourismus hat stark zugenommen und alles, was nicht als Parkplatz für Strandbenutzer dienen soll oder kann, wird abgesperrt. Jetzt hatte ich ein echtes Problem, denn ich musste zunächst rückwärts in den Stau hineinfahren und dann einen Stellplatz für den Trailer finden, egal wo. Zum Glück waren die Fahrer einsichtig und der Stau in der schmalen Einbahnstraße verschob sich so weit nach hinten, daß ich aus der Einfahrt herauskam und auf Stellplatzsuche für den Trailer gehen konnte, eine ganze Kolonne genervter Urlauber hinter mir. Weit musste ich nicht fahren und fand tatsächlich noch in der gleichen Straße eine Lücke. Anhalten, abkuppeln, rangieren, nicht auf die Kommentare aus dem Stau achten und dann war der Trailer drin. Ich winkte noch einmal entschuldigend, dann machte ich mich davon und stand irgendwann wieder vor dem Schlagbaum. Jetzt musste ich jemand finden, der mich hier rein lässt, damit das Boot von der Straße kommt.
Ich wollte schon unter dem Schlagbaum auf das Werftgelände durchgehen, als hinter mir ein schwerer SUV hielt und laut hupend Einlaß begehrte. Die Situation war schnell erklärt und so betätigte der Fahrer die Fernbedienung der Schranke zweimal und wir waren beide drin.
Lange musste ich nicht nach jemandem suchen, denn plötzlich stand die Geschäftsführerin der Werft vor mir und fragte mich nach meinem Begehr. Als ich ihr erzählte, daß ich gerne mein Boot auf das Gelände stellen möchte, um es am Montag zu kranen, schüttelte sie nur den Kopf und fragte mich, warum ich keinen Termin vereinbart habe. Die Werft hat den Kranbetrieb an einen Yachtservice ausgegliedert und dessen einziger Mitarbeiter hat seit Samstag zwei Wochen Urlaub.
Nach langen Bitten rückte die Gnädige Frau seine private Handynummer raus und ich erwischte ihn zum Glück noch zuhause. Ich brauchte ihm meine Situation nicht lange zu erklären und er versprach, gleich zu kommen.
Also schnell das Boot holen, den Mast stellen und dann war er da, suchte die passenden Gurte für den Kran und der Rest war für ihn kein Problem.
Er sagte mir auch zu, einen Tag früher als geplant wieder aus dem Urlaub zu kommen, um "Marilyn" aus dem Wasser zu holen, weil in zwei Wochen das Schleswig–Holstein–Musikfestival auf dem Werftgelände stattfindet und ein Kranbetrieb dann nicht möglich ist.
Der Typ erinnerte mich an Frank, den rührigen und beliebten Wettfahrtleiter vom KCF. Geht nicht, gibt’s nicht bei solchen Leuten.
Wir wünschten uns beide einen schönen Urlaub, dann stand ich endlich auf der "Marilyn" und machte mir Gedanken darüber, wie ich jetzt ohne Motor aus dem Fischereihafen raus und in den vorgelagerten Hafen des SVNO (Segler-Verein Niendorf Ostsee) hineingelangen konnte, denn der Wind hatte stark aufgefrischt und wehte genau in die Einfahrt.
Ich lernte gleich meine erste Lektion, denn hier war nicht Losheim und es wäre klüger gewesen, die Morgenflaute des nächsten Tages abzuwarten. Stattdessen kramte ich das Paddel hervor, band das Boot los und pullte, was die Arme hergaben.
Zum Glück war der Kapitän des Niendorfer Bäderschiffes, das in den Hafen einlief, aufmerksamer als ich, betätigte seine mächtige Tröte und ich erwischte noch einen Pfahl, an dem ich mich festhalten konnte, um seine Vorbeifahrt abzuwarten. Jetzt war aber der Schwung dahin und ich musste aus dem Stand gegen den Wind in Richtung Sportboothafen paddeln. Ich schaffte es gerade noch bis zur Spundwand auf der anderen Seite der Einfahrt, die diese gegen den Sportboothafen abgrenzt und dann ging nichts mehr. Mittlerweile fing es noch an zu regnen und auf ein kleines Schlauchboot mit Außenborder brauchte ich nicht zu hoffen.
Mit der Vorleine in der Hand zog ich mich die Spundwand hoch und blieb erst mal sitzen, denn jetzt merkte ich, daß ich schon seit Samstagmorgen im Treiben war.
Du produzierst hier ein Video für Youtube, dachte ich, als ich über die Spundwand balancierte. So zog ich "Marilyn" bis zu der Sportboothafen–Einfahrt hinter mir her, wo ich die Vorleine an irgendwas belegte. Es hatte aufgehört zu regnen, aber niemand war da und ich musste auch den letzten Teil alleine bewältigen. Ich ließ mich auf das Boot herab, löste die Vorleine und paddelte noch einmal, als ginge es um alles. Dann war ich im Hafen, der Wind blieb draußen und ich fuhr in meine Box.
Dem Hafenmeister schenkte ich einen Clubstander des RSC, bezahlte meinen Liegeplatz, sah noch einmal nach dem Boot und machte mich zu Fuß auf das Werftgelände. Dort standen noch mein Auto und der Trailer, und den wollte ich eigentlich zwei Wochen hier in irgendeiner Ecke stehen lassen.
Die Chefin über alles ließ sich aber nicht dazu überreden, obwohl Platz genug gewesen wäre und gab mir deutlich zu verstehen, endlich zu verschwinden.
Nach der umso herzlicheren Begrüßung durch meine Gastgeber räumten wir deren Garage um und konnten den Trailer darin verschwinden lassen. Der erste Tag des Aktivurlaubs war überstanden und ich fühlte mich so platt wie eine Ostseescholle.
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Das kleinste Boot im Hafen des SVNO. Das rote Holzhaus in der Mitte ist das Alte Zollhaus, das Clubhaus des SVNO und gleichzeitig ein tolles Restaurant. Von der Terrasse möchte man nicht mehr aufstehen, dort spürt man maritimes Flair für alle Sinne. Die grau-blauen Hallen rechts gehören zur Werft.
In der Nacht ließ der Wind nicht nach und anstatt zu schlafen, kamen mir erste Zweifel an meinem Tun. Noch nicht einmal einen Motor hatte ich dabei, aber zwei Großsegel ohne Reffleinen und zwei Genuas statt einer Fock. Dabei wusste ich doch, hier ist nicht Losheim.
Irgendwann erlöste mich der Schlaf dann doch und nach dem Frühstück war der Pessimismus verflogen, denn der Wind hatte sich auf 3 bis 4 Beaufort abgeschwächt und die Sonne lachte von einem wolkenlosen Himmel.
Jetzt hielt mich nichts mehr, endlich raus auf die Ostsee. Das Auslaufen war nicht problematisch, ich musste nur auf die riesige, fast 60 Fuß lange Hallberg Rassy aufpassen, die in der Durchfahrt am Ende des Steges ankerte, weil sonst nirgends Platz für sie war. Der Wind blies aus NW, ich band mich an einem Pfahl neben der Einfahrt fest, setzte die Segel und dann ging es los. Nach einigen Probeschlägen im Bereich der Neustädter Bucht, wo die Wellen nicht so hoch waren, ließ ich mich abfallen Richtung Travemünde Reede.
An der Warnbake BYB über einem mit Munition verschmutztem Gebiet ging ich an den Wind und kreuzte zurück nach Niendorf. Es war der letzte Tag, an dem der Wind aus WNW kam. Die ideale Windrichtung in diesem Revier für Jollenkreuzer, denn er kommt dann über Land und deshalb sind die Wellen nicht so hoch.
Das Einlaufen in den Hafen war immer ein spannender Moment, denn hier herrschte richtig Verkehr. Besonders zu beachten galt es das große Bäderschiff, das für keinen Segler seine Fahrt verlangsamte und die Fahrrinne für sich beanspruchte. Dann kreuzte die örtliche Segelschule mit ihrer Conger- und Opti-Flotte durch das Gebiet und ein oder mehrere Segler liefen unter Motor ein oder aus.
Daß ich unter Segeln in den Hafen einfuhr, wurde nicht gern gesehen und ist hier auch nicht üblich, aber die Manöver gingen alle glatt und die besten Gespräche hatte ich nach einigen Tagen mit dem Eigner der Hallberg Rassy, an deren schwarzem Rumpf ich unter Segeln jedes mal knapp vorbei glitt.
Wer in Losheim segelt, kann überall segeln.
In der Nacht hatte der Wind auf NO gedreht und behielt diese Richtung bei. Das war ungünstig, denn er wehte jetzt über die offene See und baute in der Lübecker Bucht hohe Wellen auf.
Aber ich wollte es erleben, mal wieder Wasser vor mir zu haben bis zum Horizont. Ich konnte stundenlang auf einem Bug zwischen 5 und 6 Knoten segeln und es war keinen Moment langweilig, denn die Wellen verlangten alle Aufmerksamkeit.
Nach der ersten Euphorie wurde mir auch der Nachteil meiner Einhand–Seglerei bei diesen Bedingungen bewusst: Ich konnte die Pinne nicht einen Moment loslassen und sie festzubinden war mir zu riskant. Die Klappen der Luke hatte ich geschlossen und meinen Rucksack mit dem Wichtigsten darin so darüber befestigt, daß sie auch im Falle einer Kenterung nicht heraus fielen. Das GPS befestigte ich am Rucksack und ließ es die Seite mit der Kompassrose anzeigen.
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Alle Fahrten, auch die bei weniger Wind, führte ich nur bei geschlossener Kajüte durch. Das Foto machte ich am ersten Tag in der Neustädter Bucht. Später war das Einhand-Fotografieren nicht mehr möglich.
An einem Tag war das Auslaufen unmöglich, denn der Wind hatte auf 6-7 Beaufort zugelegt und ich wäre hinter der Hafenausfahrt sofort umgefallen. Es war mir sehr recht, einen Hafentag einlegen zu müssen, denn am Tag zuvor hatte ich mit meinen Gastgebern im Alten Zollhaus Geburtstag gefeiert und konnte eine Auszeit gebrauchen. Die Travemünder Woche hatte begonnen und dort gab es eine Menge zu sehen und zu erleben. Es war ein riesiges Fest, Publikum und Segler vermischten sich auf der riesigen Partymeile. Das Allermeiste hier hatte aber nichts mit Segeln, sondern mit Essen und Trinken zu tun, die vielen Düfte vermischten sich irgendwann zu Gestank, den ich aber heute überhaupt nicht vertragen konnte und so ließ ich den Nachmittag in Haffkrug-Scharbeutz ausklingen.
Dort rauschte die Brandung bei NO voll auf den Strand und man konnte die Gewalt des Wassers am eigenen Leib erleben. Weiter draußen zogen die Kite-Surfer ihre Show ab, denn das waren für sie ideale Bedingungen.
Als ich mich auf die Heimfahrt machte, war der Restalkohol abgebaut.
Die nächsten Tage konnte ich wieder auf meinem Boot verbringen. Einmal war ich 07:32 Stunden unterwegs, wobei ich nach Groß-Klützhöved am Eingang von Boltenhagen Bucht segelte und dann Kurs NW über die Lübecker Bucht nach Grömitz nahm.
Von dort ging es wieder zurück nach Niendorf und dieser Schlag wird mir als der schönste in Erinnerung bleiben. Der Wind wehte raumschots konstant aus Ost-Nordost und ich konnte mit Kurs 215° ohne irgendein Manöver auf die Hafeneinfahrt zuhalten.
Von der sieht man erst etwas, wenn man sich zwischen den ersten Ansteuerungstonnen befindet. Deshalb bietet das linke Hochhaus von Timmendorf, das ich jetzt als kleinen Würfel erkennen konnte, einen idealen Ansteuerungspunkt. Bis dorthin sollten aber noch Stunden vergehen und ich genoss den gleichmäßigen Wind, den Platz um mich herum, die Geschwindigkeit bis zu 6,8 Knoten, die Gischt und die Wellen, die jetzt genau richtig waren.
Was den Genuss etwas trübte, waren die Geräusche aus dem Rumpf, die ich so noch nie gehört hatte und die ich nicht zuordnen konnte. Die meisten Bedenken hatte ich um das Schwert. Aber es blieb alles heil, dafür machte sich langsam der Mangel an Sitzfleisch bei mir schmerzhaft bemerkbar und ich war froh, nach dem Festmachen im Hafen wieder herumlaufen zu können.
Die nächsten Törns wurden kürzer, weil der Wind wieder zugelegt hatte. Am vorletzten Segeltag war ich nach einer halben Stunde schon zurück und heilfroh, ohne Havarie in meine Box gekommen zu sein.
Am letzten Segeltag wollte ich mit halbem Wind nach Neustadt und wieder zurück segeln, aber nach einigen Meilen wendete ich und machte mich wieder zurück. Ich konnte das Boot fast nicht mehr halten. Es war einfach zu viel Segelfläche am Wind und zuwenig Gewicht auf der Kante.
Da nutzte es gar nichts, daß ich den Traveller ganz in Lee fuhr und Groß und Genua weit auffierte. Mein Glück war wohl, daß der Wind gleichmäßig stark und nicht böig war.
In der Hafeneinfahrt gab es diesmal keinen Betrieb, die Segelschule machte bei diesem Wind Theorie und ich konnte mit so viel Schwung in den Hafen des SVNO einlaufen, daß es bis vor meine Box reichte.
Das war’s. Ende gut, alles gut.
Jetzt konnte ich eine erste Bilanz ziehen.
An acht Segeltagen, wozu auch die kurzen Schläge zählen, legte ich 115 Seemeilen zurück. Das längste Etmal betrug 28 Meilen, das kürzeste 1,9. Als maximale Geschwindigkeit erreichte ich 6,8 Knoten.
Zu Bruch ging nichts und ich hatte den Spaß gehabt, den ich mir wünschte, als ich von Zuhause losfuhr. Allerdings reifte in mir schon nach den ersten Tagen in der Lübecker Bucht die Erkenntnis, daß die ganze Sache zu zweit auch doppelt so viel Spaß gemacht hätte. Der Jollenkreuzer L17 ist auf so einem Revier erst recht ein Zweimannboot.
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Der Kranfahrer kam am nächsten Tag wie versprochen und lud "Marilyn" wieder auf den Trailer.
Das klappte problemlos, aber der Rest wurde noch etwas stressig, weil die Aufbauteams des Festivals mit ihren Sattelschleppern schon auf dem Gelände eintrafen und ich mich mit dem Abbau sehr beeilen musste.
Als ich fast fertig war und den hintersten Gurt um den Rumpf spannte, stand die Chefin neben mir und fragte mich, ob ich noch lange hier zu tun habe. "In ein paar Minuten bin ich fertig, wie sie selbst sehen können, und dann mache ich mich davon, egal wohin, nur weg von hier, das können sie mir glauben. Und jetzt lassen sie mich einfach weitermachen, bitte", sagte ich zu ihr und ließ sie stehen. Wortlos trottete sie davon und gleich darauf war ich fertig.
Zum Glück konnte ich den Trailer in der Einfahrt zu meiner Ferienwohnung abstellen und noch zwei Tage unbeschwert Urlaub machen.
Die beiden letzten Tage verbrachte ich auf der Travemünder Woche. Einige Regattabahnen konnte man von der Seebrücke aus gut einsehen. Die Boote der Favoriten hatten Kameras an Bord und über dem Feld schwirrten ferngesteuerte Hubschrauber–Drohnen, die tolle Bilder zu einem riesigen Bildschirmwürfel lieferten. Dort konnte man die Regatta so erleben, als wäre man dabei. Das einzige, was nervte, waren die Kommentare der beiden Experten. Es erinnerte ein wenig an die Formel 1.
Nach einem letzten schönen Abend mit meinen Gastgebern, bei dem der Linie Aquavit aber im Kühlschrank blieb, startete ich samstags morgens bei strahlendem Sonnenschein zur langen Heimreise.
Es wurde ein heißer Tag und ich fuhr fast die gesamte Strecke gegen die Sonne, aber das sollte das einzige Problem bleiben. Es gab nur einen Stau in meiner Richtung und nach 09:32 Stunden reiner Fahrzeit war ich wieder zu Hause. Ein schöner Segelurlaub hatte ein gutes Ende gefunden.
Peter Ohl